Tatort: Griechenland, ein Samstag in der Taverne von
Athanasios Dhiakos.
Wir trinken griechischen Kaffee. Im Fernsehen
sprechen sie von der Krise, und Angela Merkel und Nicolas Sarkozy
schütteln sich wieder einmal die Hände. Panagiotis, der Wirt, schüttelt
den Kopf und schaltet um auf eine türkische Soap. Panagiotis nennt sich
Pangos und trägt Trainerhosen, einen Bart und einen Bauch zur Schau. Es
ist 10 Uhr morgens, er wartet darauf, dass die Taverne sich füllt, und
wir darauf, dass der Regen aufhört und wir weitergehen können.
Langsam tröpfeln die ersten Gäste herein.
Arbeiter, die das Haus nebenan sanieren, schicke Athenerinnen, der
Gemeindepräsident, der mit dem pensionierten Seemann eine Partie
Backgammon spielen will. Pangos’ Vater schleppt Holzscheit um Holzscheit
herein, die Menschen drängen sich näher ans wärmende Feuer. Der beste
Platz gehört der Grossmutter, sie hat sich vor das Kaminfeuer gesetzt.
Sie hat die Taverne vor über 50 Jahren zusammen mit ihrem Mann
gegründet, sein Foto steht auf dem Kamin. Sommers beherbergt das Dorf
2000 Menschen, im Winter sind es nur noch zwei Handvoll. Der junge Wirt,
der Gemeindepräsident und der pensionierte Seemann sind drei von ihnen.
Dann jagen sie zusammen Hasen, der Seemann und der Wirt haben im
letzten Winter drei geschossen, der Gemeindepräsident einen.
Im Fernseher sieht man jetzt brennende Barrikaden,
das ist Athen. In der Taverne schaut niemand hin. Jeder Tisch ist
besetzt, alle schwatzen durcheinander. Pangos setzt sich kurz zu allen
hin, auch zu uns. «Na, seid ihr immer noch da?», meint er, lacht und
schiebt uns ein paar belegte Brote zu. Es regnet weiter. Seit gestern
Abend ununterbrochen. Aus Langeweile versuchen wir uns Backgammon
beizubringen. Um nicht aufzufallen, wechseln wir wie alle anderen am
Nachmittag von Kaffee zu Wein. Der Seemann erzählt uns, dass seine
Tochter in Athen studiere. Bisher sei aber in diesem Semester jede
Vorlesung ausgefallen, die Professoren streiken. Dann deutet er auf zwei
Männer, die in Tarnkleidung in der Taverne sitzen: «Die wollen Vögel
jagen gehen.» «Und die Tochter», wollen wir wissen, «was macht sie
jetzt?» «Sie jobbt und wartet darauf, dass es weitergeht», antwortet der
Seemann. Dann spricht er wieder über die Jagd.
In der Küche brät Pangos' Mutter Fleisch an. Es
wird aufgetischt. Auch heute mussten einige Lämmer dranglauben. Wir
beschränken uns auf einen griechischen Salat. In den Nachrichten
erzählen sie, dass es in den griechischen Städten stinke. Die
Abfallentsorgung klappe nicht mehr. Der Seemann prostet uns zu, das
scheint hier niemanden zu beschäftigen. Es regnet pausenlos. Mit Wandern
wirds heute nichts mehr. Wir winken Pangos, wollen zahlen. Er bleibt
sitzen, zieht sich die Brille aus, reibt sich die Augen, seufzt tief auf
und stösst seine Freundin mit dem Ellbogen an. Doch auch sie will nicht
einkassieren. Zahlt morgen, sagt er. Warum sollte man es wegen ein paar
Euro auch so genau nehmen?
(Erschienen in der Berner Zeitung vom 08.11.2011)
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