Friday, January 6, 2012

Kolumne 5: Ein paar Euros - was macht das schon aus?

Tatort: Griechenland, ein Samstag in der Taverne von Athanasios Dhiakos. 

Wir trinken griechischen Kaffee. Im Fernsehen sprechen sie von der Krise, und Angela Merkel und Nicolas Sarkozy schütteln sich wieder einmal die Hände. Panagiotis, der Wirt, schüttelt den Kopf und schaltet um auf eine türkische Soap. Panagiotis nennt sich Pangos und trägt Trainerhosen, einen Bart und einen Bauch zur Schau. Es ist 10 Uhr morgens, er wartet darauf, dass die Taverne sich füllt, und wir darauf, dass der Regen aufhört und wir weitergehen können. 

Langsam tröpfeln die ersten Gäste herein. Arbeiter, die das Haus nebenan sanieren, schicke Athenerinnen, der Gemeindepräsident, der mit dem pensionierten Seemann eine Partie Backgammon spielen will. Pangos’ Vater schleppt Holzscheit um Holzscheit herein, die Menschen drängen sich näher ans wärmende Feuer. Der beste Platz gehört der Grossmutter, sie hat sich vor das Kaminfeuer gesetzt. Sie hat die Taverne vor über 50 Jahren zusammen mit ihrem Mann gegründet, sein Foto steht auf dem Kamin. Sommers beherbergt das Dorf 2000 Menschen, im Winter sind es nur noch zwei Handvoll. Der junge Wirt, der Gemeindepräsident und der pensionierte Seemann sind drei von ihnen. Dann jagen sie zusammen Hasen, der Seemann und der Wirt haben im letzten Winter drei geschossen, der Gemeindepräsident einen. 

Im Fernseher sieht man jetzt brennende Barrikaden, das ist Athen. In der Taverne schaut niemand hin. Jeder Tisch ist besetzt, alle schwatzen durcheinander. Pangos setzt sich kurz zu allen hin, auch zu uns. «Na, seid ihr immer noch da?», meint er, lacht und schiebt uns ein paar belegte Brote zu. Es regnet weiter. Seit gestern Abend ununterbrochen. Aus Langeweile versuchen wir uns Backgammon beizubringen. Um nicht aufzufallen, wechseln wir wie alle anderen am Nachmittag von Kaffee zu Wein. Der Seemann erzählt uns, dass seine Tochter in Athen studiere. Bisher sei aber in diesem Semester jede Vorlesung ausgefallen, die Professoren streiken. Dann deutet er auf zwei Männer, die in Tarnkleidung in der Taverne sitzen: «Die wollen Vögel jagen gehen.» «Und die Tochter», wollen wir wissen, «was macht sie jetzt?» «Sie jobbt und wartet darauf, dass es weitergeht», antwortet der Seemann. Dann spricht er wieder über die Jagd.
In der Küche brät Pangos' Mutter Fleisch an. Es wird aufgetischt. Auch heute mussten einige Lämmer dranglauben. Wir beschränken uns auf einen griechischen Salat. In den Nachrichten erzählen sie, dass es in den griechischen Städten stinke. Die Abfallentsorgung klappe nicht mehr. Der Seemann prostet uns zu, das scheint hier niemanden zu beschäftigen. Es regnet pausenlos. Mit Wandern wirds heute nichts mehr. Wir winken Pangos, wollen zahlen. Er bleibt sitzen, zieht sich die Brille aus, reibt sich die Augen, seufzt tief auf und stösst seine Freundin mit dem Ellbogen an. Doch auch sie will nicht einkassieren. Zahlt morgen, sagt er. Warum sollte man es wegen ein paar Euro auch so genau nehmen?

(Erschienen in der Berner Zeitung vom 08.11.2011)

No comments:

Post a Comment