Tatort: Bulgarien, während der Überquerung des
Piringebirges.
Der weit gereiste deutsche Rentner auf Campo Imperatore
hatte uns vorgewarnt: «Wartet nur, bis ihr nach Bulgarien kommt, dort
trefft ihr auf das ‹Pferdchen›. Das ist nichts für Angsthasen.» Also
nichts für mich. Schliesslich ist es für mich schon Abenteuer genug,
immer draussen unterwegs zu sein, im Zelt zu schlafen und noch dazu den
ganzen Haushalt auf dem Rücken zu tragen: Schlafzimmer, Kleiderschrank,
Bibliothek, Kochherd und Vorratsschrank. Vor allem Letzteres ist immer
wieder von Neuem eine Herausforderung für uns.
Denn es ist nicht so, dass wir täglich an einem
Laden vorbeikommen würden. Deshalb braucht es eine genaue
Essensdisziplin – der Drill der Kochschullehrerin von damals klingt mir
wieder in den Ohren: Lebensmittelpyramide, Menüplanung, Einkaufszettel,
nicht hungrig einkaufen gehen. Also berechnen wir mithilfe der
Wanderkarte, wie lange wir ungefähr in der Wildnis bleiben können. Das
Maximum sind vier Nächte. Viermal Frühstück, fünfmal Mittagessen,
viermal Abendessen. Mehr passt nicht in den Rucksack.
Frühstück ist leicht: Müesli, Milchpulver, Kaffee.
Hält leider nicht so lange hin, darum brauchts vormittags noch
Dörrfrüchte und Nüsse. Mittagessen nimmt nicht nur quantitativ von Tag
zu Tag ab: Um trockenes Weissbrot und schwitzenden Käse am fünften Tag
zu essen, muss man schon ziemlich hungrig sein. Täglicher Höhepunkt und
unser ganzer Ehrgeiz ist die Abendessen. Am ersten Abend oft noch
Teigwaren mit frischen Tomaten – beides so schwer, dass wir es nicht
länger als einen Tag schleppen können. Kartoffeln kommen übrigens gar
nicht in Frage: ungekocht gleich schwer wie gekocht.
Am zweiten und dritten Tag wird mit Gemüse
zurückgefahren – es gibt jetzt nur noch eine Aubergine oder Zucchetti,
dazu Linsen, Reis oder Polenta, denn die saugen mehr Wasser auf als
Nudeln. Immerhin haben wir immer Öl und Zwiebeln dabei, um die Menüs zu
verfeinern. Und oft finden wir unterwegs auch Kräuter, manchmal Pilze,
die wir dem Essen beigeben können.
Trotzdem, am vierten Tag wirds meistens trist.
Buchstabensuppe. Ausser wir tragen mein Lieblingsleichtgewicht mit: 250
Gramm Risottoreis, eine Zitrone, eine Zwiebel, etwas schwitzenden Käse,
Bouillon und Öl. Mehr brauchts nicht für ein leckeres Zitronenrisotto.
Derart gesättigt, sind die Touren gut zu
bewältigen. Ja, mein lieber deutscher Rentner, auch das gefürchtete
«Pferdchen», ein schmaler Grat hoch oben im Piringebirge, bei dem es auf
beiden Seiten steil hinuntergeht. Man sagt, es heisse «Pferdchen», weil
es Leute gebe, die sich auf dem Grat wie auf einem Pferderücken
sitzend vorwärtsbewegen, aus Angst, herunterzufallen. Ich halte das für
eine Legende, die deutsche Rentner Schweizer Wanderern erzählen, um
ihnen Angst zu machen.
(Erschienen in der Berner Zeitung vom 06.10.2011)
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