Friday, January 6, 2012

Kolumne 4: Buchstabensuppe und schwitzender Käse

Tatort: Bulgarien, während der Überquerung des Piringebirges.

Der weit gereiste deutsche Rentner auf Campo Imperatore hatte uns vorgewarnt: «Wartet nur, bis ihr nach Bulgarien kommt, dort trefft ihr auf das ‹Pferdchen›. Das ist nichts für Angsthasen.» Also nichts für mich. Schliesslich ist es für mich schon Abenteuer genug, immer draussen unterwegs zu sein, im Zelt zu schlafen und noch dazu den ganzen Haushalt auf dem Rücken zu tragen: Schlafzimmer, Kleiderschrank, Bibliothek, Kochherd und Vorratsschrank. Vor allem Letzteres ist immer wieder von Neuem eine Herausforderung für uns.

Denn es ist nicht so, dass wir täglich an einem Laden vorbeikommen würden. Deshalb braucht es eine genaue Essensdisziplin – der Drill der Kochschullehrerin von damals klingt mir wieder in den Ohren: Lebensmittelpyramide, Menüplanung, Einkaufszettel, nicht hungrig einkaufen gehen. Also berechnen wir mithilfe der Wanderkarte, wie lange wir ungefähr in der Wildnis bleiben können. Das Maximum sind vier Nächte. Viermal Frühstück, fünfmal Mittagessen, viermal Abendessen. Mehr passt nicht in den Rucksack.
Frühstück ist leicht: Müesli, Milchpulver, Kaffee. Hält leider nicht so lange hin, darum brauchts vormittags noch Dörrfrüchte und Nüsse. Mittagessen nimmt nicht nur quantitativ von Tag zu Tag ab: Um trockenes Weissbrot und schwitzenden Käse am fünften Tag zu essen, muss man schon ziemlich hungrig sein. Täglicher Höhepunkt und unser ganzer Ehrgeiz ist die Abendessen. Am ersten Abend oft noch Teigwaren mit frischen Tomaten – beides so schwer, dass wir es nicht länger als einen Tag schleppen können. Kartoffeln kommen übrigens gar nicht in Frage: ungekocht gleich schwer wie gekocht.
Am zweiten und dritten Tag wird mit Gemüse zurückgefahren – es gibt jetzt nur noch eine Aubergine oder Zucchetti, dazu Linsen, Reis oder Polenta, denn die saugen mehr Wasser auf als Nudeln. Immerhin haben wir immer Öl und Zwiebeln dabei, um die Menüs zu verfeinern. Und oft finden wir unterwegs auch Kräuter, manchmal Pilze, die wir dem Essen beigeben können.

Trotzdem, am vierten Tag wirds meistens trist. Buchstabensuppe. Ausser wir tragen mein Lieblingsleichtgewicht mit: 250 Gramm Risottoreis, eine Zitrone, eine Zwiebel, etwas schwitzenden Käse, Bouillon und Öl. Mehr brauchts nicht für ein leckeres Zitronenrisotto.
Derart gesättigt, sind die Touren gut zu bewältigen. Ja, mein lieber deutscher Rentner, auch das gefürchtete «Pferdchen», ein schmaler Grat hoch oben im Piringebirge, bei dem es auf beiden Seiten steil hinuntergeht. Man sagt, es heisse «Pferdchen», weil es Leute gebe, die sich auf dem Grat wie auf einem Pferderücken sitzend vorwärtsbewegen, aus Angst, herunterzufallen. Ich halte das für eine Legende, die deutsche Rentner Schweizer Wanderern erzählen, um ihnen Angst zu machen.
(Erschienen in der Berner Zeitung vom 06.10.2011)

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