Friday, January 6, 2012

Kolumne 3: Soldaten, Shacis und Edelweiss

Tatort: Kosovo, irgendwo auf verstaubten Naturstrassen unterwegs in die Berge.

 Erwartungsvoll stiegen wir im kleinen kosovarischen Bergdorf aus dem Bus. Ein paar Männer sassen in der einzigen Bar des Orts herum, und private Taxifahrer boten ihre Dienste an. Wir wollten zu Fuss weitergehen bis zuhinterst im Tal – doch wir hatten nicht mit Adnan gerechnet.
«Taxi, Taxi», deklamierte er. Wir winkten ab, kein Bedarf. «Ihr könnt nicht laufen, das ist viel zu weit», meinte er. Wir lachten und sagten, wir wollten sowieso erst Kaffee trinken und dann weiterschauen. «Gut», meinte er – und setzte sich ungefragt gleich zu uns an den Tisch. 

Der Kaffee kam, und kurz danach folgten zwei türkische KFOR-Soldaten, die uns die Hand schüttelten und uns persönlich in ihrem Sektor willkommen hiessen. Auch Adnan streckte seine Hand hin und textete die Türken unbekümmert auf Deutsch zu. Das habe er in Bazenheid im Kanton St. Gallen gelernt, dort habe er gearbeitet, und seine Schwester lebe immer noch in Vevey. Jetzt schaltete sich der junge Typ am Nebentisch ins Gespräch ein. Er sei während des Kriegs in der Schweiz gewesen, seine Familie sei dort geblieben, der Onkel lebe in Langnau im Emmental. Ob wir das kennen würden? Wir nickten.

Vor der Wanderetappe in Südkosovo war ich kritisch gewesen: Wie sollte ich mich mit den Leuten unterhalten, wo mir doch Albanisch total fremd ist? Die Frage hatte sich dann von selbst beantwortet: auf Deutsch, besser noch auf Schweizerdeutsch. Vor allem im Sommer, wenn die Shacis zurückkehren. Shaci ist die Bezeichnung für Kosovaren, die in deutschsprachigen Ländern leben. Böse Zungen behaupten, die Wortschöpfung sei entstanden, weil sie sich gegenseitig «Schatzi» rufen würden. Shacis fallen auf mit grossen, glänzenden Wagen, trotz der staubigen und trockenen Wege, die durch Kosovo führen. Das liegt vermutlich daran, dass Autowaschanlagen hier häufiger vorkommen als Strassenkreuzungen. 

 Wir unterhielten uns noch immer mit unserer neuen Bekanntschaft über Langnau, als wir plötzlich bemerkten, dass Adnan, der Taxifahrer, fehlte. Ebenso unsere beiden Rucksäcke. Sie lagen im Taxi, der Motor lief schon. Wir ergaben uns unserem Schicksal und stiegen in den orangefarbenen Minibus. Adnan, der Reiseführer, fuhr uns durch die «beste Natur Kosovos», die wir durch die staubige Scheibe bewundern durften. 
Zum Wandern kamen wir schliesslich auch noch. Und so entdeckten wir in den Bergen eine weitere schweizerisch-kosovarische Gemeinsamkeit: blühende Edelweiss, die ich bisher nur aus Prospekten fürs Oberland gekannt hatte.
(Erschienen in der Berner Zeitung vom 03.09.2011)

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