Saturday, January 21, 2012

Auf den Hund gekommen



Begegnung 1 (Juli 2011)

Art: Strassenhund, schwarz und ziemlich übergewichtig.

Getroffen: Auf dem Campingplatz in Opi, Italien.

Besonderes: Hat unser Zelt angepisst.

Gemeinsame Erlebnisse: Halbtägige Wanderung durch den alten Abruzzen-Nationalpark, wo Hunde streng verboten sind. Die Frage, ob es besser ist, den Hund durch ignorieren oder Steine schmeissen loszuwerden, hat einen ernsthaften Streit im Expeditionsteam ausgelöst.

Abschied: Auf dem ersten Pass im Nationalpark, durch massiven Einsatz von Steinen.


Begegnung 2 (September 2011)

Art: Strassenhund-Welpe, klein und grau.

Getroffen: Auf dem Campingplatz in Predel, Bulgarien.

Besonderes: War nicht Mutters Liebling.

Gemeinsame Erlebnisse: Wurde in der Nacht von seiner Mutter unter unserem Vorzelt ausgesetzt, nach langer Diskussion nächtliche Rückführung zu Mutter und Brüderchen.

 Abschied: Weiterwanderung am nächsten Tag.


Begegnung 3 (Oktober 2011)

Art: Hüttenhund, klein, grau, verstrubbelt. Nervös.

Getroffen: Früh am Morgen vor der Berghütte beim Aufstieg zum Olymp, Griechenland.

Besonderes: Hat Gämsen gejagt.

Gemeinsame Erlebnisse: Halbtägiger Aufstieg zum Olymp. Musste kurz vor dem Gipfel aufgeben, weil ein Felsspalt nicht überquerbar war. Wartete aber brav, bis wir wieder zurück waren.

Abschied: Wurde einem israelischen Wanderpärchen anvertraut, das ihn wieder zur Hütte zurück geleitete.


Begegnung 4 (November 2011)

Art: Sogenannter Rabbit Dog, althletisch, kurzes Fell und grosse Eier.

Getroffen: Bei einer verlassenen Hütte in den Ausläufern des Taygetos Gebirges.

Besonderes: Hat an einem Fuss hinten nur 3 Zehen.

Gemeinsame Erlebnisse: 2 Tage Wanderplausch durch den Peloponnes. Wurde einmal von Jägern geprüft und als untauglich taxiert, wegen dem fehlenden Zeh.

Abschied: Wir hatten uns schon darauf eingestellt, ihn zu behalten. Wurde kurz vor Schluss der Tour von einem anderen Jäger angeschaut, geprüft und in den Pickup geladen.    



Begegnung 5 (Januar 2012)

Art: Mehrere Strassenhunde, Promenadenmischungen.

Getroffen: In den Gässchen von Oia, auf der griechischen Insel Santorini.

Besonderes: Schienen die Aussicht mindestens ebenso zu geniessen wie wir.

Gemeinsame Erlebnisse: Wanderung von Oia nach Thira (2 hielten durch), Hafenbesuch am nächsten Tag (da war nur noch einer übriggeblieben), der andere wurde am Abend pfötchenhaltend mit einer Dame auf einer Bank gesehen.

Abschied: Nach zwei gemeinsamen Tagen auf der Strasse zurückgelassen.


Monday, January 9, 2012

Kolumne 7: Haare schneiden, Socken stopfen

Tatort: Athen, Griechenland.

Auch wenn wir immer weiter südwärts gezogen sind, hat uns doch der Winter eingeholt. Der ist hier nicht ganz so kalt, aber doch nass und dunkel. Und so sitzen wir nun für einige Wochen in Athen fest. Wanderer in der Grossstadt. Das ist gar nicht so schlimm, schliesslich müssen wir dringend mal Schuhe besohlen, Haare schneiden, Socken stopfen. Ausserdem kann man nicht Wochen in Griechenland verbringen, ohne die krisengeschüttelte Hauptstadt gesehen zu haben, und wir haben endlich mal Zeit, die vergangenen Monate Revue passieren zu lassen.

Zu Fuss unterwegs zu sein, heisst ja auch, sich viel Zeit zu nehmen. Das geht gar nicht anders, denn man kommt langsam voran und ist abhängig von äusseren Umständen, allen voran vom Wetter. Bei Dauerregen gibt es für uns kein Weiterkommen. Punkt. Oder wir verirren uns, was trotz Kompass und Karten immer wieder vorkommt. So sind wir ab und zu an einem Ort gelandet, den wir vorher auf der Landkarte nicht einmal gefunden hätten, und hatten meistens genau da die schönsten Begegnungen, zum Beispiel mit Antigone, einer Athenerin, die wir in einem Bergdorf auf dem Peloponnes trafen. Sie versorgte uns für die Nacht und ist nun in Athen zu einer Freundin geworden, die uns viel über ihr Land erzählen kann. Aber so etwas lässt sich nicht planen. Und das macht auch den Reiz dieses langsamen Vorwärtskommens aus.

Wir suchen uns nicht nur die schönsten, die spektakulärsten, die berühmtesten Orte aus. Das können wir ja gar nicht, denn dazwischen verbringen wir Tage auf Feldwegen und Teersträsschen. Und wir sind auch nicht auf Bilder aus Reiseführern oder den Multimediashows mit fantasielosen Namen wie «Faszination Freeride» aus. Es ist das ganz normale Leben, das plötzlich aufregend ist, weil nichts mehr selbstverständlich ist. Wir sind müde, erschöpft, wir frieren, wir nerven uns über dornenüberwachsene oder nicht existierende Wege, müssen vor bösen Hunden flüchten, verzweifeln fast über juckende Flohbisse, fühlen uns schmutzig und hungrig, kurz: Wir sehnen uns nach all den Annehmlichkeiten der Zivilisation. Und freuen uns dann umso mehr, wenn wir sie wieder haben.

Nach über einem halben Jahr ist das Leben in der Natur ziemlich normal geworden. Während ich früher nachts im Zelt stundenlang wach lag, den unheimlichen Geräuschen lauschte, mir ausmalte, was alles passieren könnte, schlafe ich nun sofort ein. Wir können das Wetter besser deuten, je nachdem, was für Wolken aufziehen. Und wir richten uns nach dem Sonnenauf- und -untergang. Das heisst, in letzter Zeit krochen wir schon um sechs Uhr abends in den Schlafsack und harrten aus bis zu den ersten Sonnenstrahlen kurz vor acht Uhr. Jetzt wird es zum Glück täglich besser, und in ein paar Wochen geht es weiter, in der Südtürkei ist es da hoffentlich schon etwas wärmer.
(Erschienen in der Berner Zeitung vom 07.01.2012)

Friday, January 6, 2012

Kolumne 6: Wanderpause auf der Insel

Tatort: Kefalonia, eine griechische Insel im Ionischen Meer. 

Unterwegs, als wir am Wandern waren, haben wir einige Male versucht, in eine rohe Olive zu beissen. Ging nicht. Bitter und ungeniessbar. Stefanos hat gelacht, als wir ihm das erzählt haben. So etwas käme ihm nie in den Sinn. Stefanos ist Oliven- und Weinbauer auf Kefalonia, und wir sind für einen Monat seine Handlanger.

Die Olivenernte findet im November und Dezember statt, dann, wenn manche Oliven am Baum schon schwarz, andere noch grün sind. «Die schwarzen Oliven geben mehr Öl, die grünen sorgen für einen intensiveren Geschmack», sagt Stefanos. Für Essoliven gilt das übrigens auch, aber die Sorte ist eine andere. Es sind grössere Oliven, die wir von Hand ernten, in die wir mit einer Gabel Löcher hineinstechen und die Stefanos für einen Monat in mildes Salzwasser einlegt, das er jede Woche auswechselt. Das entzieht ihnen die Säure. 

Die kleinen Öloliven werden anders geerntet. Gröber, rabiater. Zuerst müssen Netze unter die Bäume gespannt werden, so gross und schwer, dass ich Einsatz mit dem ganzen Körper leisten muss. Dann rückt Stefanos mit der Kettensäge an. Nur die mit Oliven behangenen Äste werden geschnitten, die leeren lässt er am Baum, denn sie tragen erst im nächsten Jahr Früchte. Die gefallenen Äste werden vom Expeditionspartner und mir mit einem kleinen Handrechen eifrig gebürstet. 

Derweil gehen Stefanos und Petros, sein Gehilfe, mit riesigen elektrischen Massagestäben zu Werk. Der Generator läuft auf Hochtouren, die Stäbe sind gnadenlos: Die restlichen Oliven fallen vom Baum, mit ihnen Blätter und Ästchen. Ein heilloses Durcheinander – das wir wieder einsammeln und sortieren müssen. Das nächste Netz wird schon ausgebreitet, der zurückgelassene Baum gleicht einem gerupften Huhn. Es ist eine atemlose Arbeit. Man verliert sich so darin, dass alles andere vergessen geht. Man ist so motiviert, dass man Petros mit seinem Massagestab wegjagt, wenn er die kleinen Äste bearbeiten will. Die gehören doch uns. 

Vieles machen wir natürlich falsch, denn es gibt eine spezielle Art, wie man die leeren Netze faltet, eine Art, wie man Oliven in den Netzen zusammenbringt – nicht rollen, nicht werfen, sondern schütteln, dann befinden sich Blätter und Zweige obenauf, und man kann sie gut aussortieren. Und noch etwas ist wichtig: nicht im Weg stehen, wenn Stefanos wie wild in alle Himmelsrichtungen sägt, wenn Petros mit dem Massagestab gefährlich nahe heranrückt.

Nach einigen Stunden sind die Haare verstaubt und zerzaust, die Hände zerkratzt und ölig schwarz und die Arme müde vom vielen Bürsten. Dann gibts Pause: von Olivenöl triefendes Brot, selbst gemachten Feta, Oliven und Stefanos’ eigenen Wein, der uns das Arbeiten am Nachmittag erstaunlich beschwingt angehen lässt. 
(Erschienen in der Berner Zeitung vom 10.12.2011)

Kolumne 5: Ein paar Euros - was macht das schon aus?

Tatort: Griechenland, ein Samstag in der Taverne von Athanasios Dhiakos. 

Wir trinken griechischen Kaffee. Im Fernsehen sprechen sie von der Krise, und Angela Merkel und Nicolas Sarkozy schütteln sich wieder einmal die Hände. Panagiotis, der Wirt, schüttelt den Kopf und schaltet um auf eine türkische Soap. Panagiotis nennt sich Pangos und trägt Trainerhosen, einen Bart und einen Bauch zur Schau. Es ist 10 Uhr morgens, er wartet darauf, dass die Taverne sich füllt, und wir darauf, dass der Regen aufhört und wir weitergehen können. 

Langsam tröpfeln die ersten Gäste herein. Arbeiter, die das Haus nebenan sanieren, schicke Athenerinnen, der Gemeindepräsident, der mit dem pensionierten Seemann eine Partie Backgammon spielen will. Pangos’ Vater schleppt Holzscheit um Holzscheit herein, die Menschen drängen sich näher ans wärmende Feuer. Der beste Platz gehört der Grossmutter, sie hat sich vor das Kaminfeuer gesetzt. Sie hat die Taverne vor über 50 Jahren zusammen mit ihrem Mann gegründet, sein Foto steht auf dem Kamin. Sommers beherbergt das Dorf 2000 Menschen, im Winter sind es nur noch zwei Handvoll. Der junge Wirt, der Gemeindepräsident und der pensionierte Seemann sind drei von ihnen. Dann jagen sie zusammen Hasen, der Seemann und der Wirt haben im letzten Winter drei geschossen, der Gemeindepräsident einen. 

Im Fernseher sieht man jetzt brennende Barrikaden, das ist Athen. In der Taverne schaut niemand hin. Jeder Tisch ist besetzt, alle schwatzen durcheinander. Pangos setzt sich kurz zu allen hin, auch zu uns. «Na, seid ihr immer noch da?», meint er, lacht und schiebt uns ein paar belegte Brote zu. Es regnet weiter. Seit gestern Abend ununterbrochen. Aus Langeweile versuchen wir uns Backgammon beizubringen. Um nicht aufzufallen, wechseln wir wie alle anderen am Nachmittag von Kaffee zu Wein. Der Seemann erzählt uns, dass seine Tochter in Athen studiere. Bisher sei aber in diesem Semester jede Vorlesung ausgefallen, die Professoren streiken. Dann deutet er auf zwei Männer, die in Tarnkleidung in der Taverne sitzen: «Die wollen Vögel jagen gehen.» «Und die Tochter», wollen wir wissen, «was macht sie jetzt?» «Sie jobbt und wartet darauf, dass es weitergeht», antwortet der Seemann. Dann spricht er wieder über die Jagd.
In der Küche brät Pangos' Mutter Fleisch an. Es wird aufgetischt. Auch heute mussten einige Lämmer dranglauben. Wir beschränken uns auf einen griechischen Salat. In den Nachrichten erzählen sie, dass es in den griechischen Städten stinke. Die Abfallentsorgung klappe nicht mehr. Der Seemann prostet uns zu, das scheint hier niemanden zu beschäftigen. Es regnet pausenlos. Mit Wandern wirds heute nichts mehr. Wir winken Pangos, wollen zahlen. Er bleibt sitzen, zieht sich die Brille aus, reibt sich die Augen, seufzt tief auf und stösst seine Freundin mit dem Ellbogen an. Doch auch sie will nicht einkassieren. Zahlt morgen, sagt er. Warum sollte man es wegen ein paar Euro auch so genau nehmen?

(Erschienen in der Berner Zeitung vom 08.11.2011)

Kolumne 4: Buchstabensuppe und schwitzender Käse

Tatort: Bulgarien, während der Überquerung des Piringebirges.

Der weit gereiste deutsche Rentner auf Campo Imperatore hatte uns vorgewarnt: «Wartet nur, bis ihr nach Bulgarien kommt, dort trefft ihr auf das ‹Pferdchen›. Das ist nichts für Angsthasen.» Also nichts für mich. Schliesslich ist es für mich schon Abenteuer genug, immer draussen unterwegs zu sein, im Zelt zu schlafen und noch dazu den ganzen Haushalt auf dem Rücken zu tragen: Schlafzimmer, Kleiderschrank, Bibliothek, Kochherd und Vorratsschrank. Vor allem Letzteres ist immer wieder von Neuem eine Herausforderung für uns.

Denn es ist nicht so, dass wir täglich an einem Laden vorbeikommen würden. Deshalb braucht es eine genaue Essensdisziplin – der Drill der Kochschullehrerin von damals klingt mir wieder in den Ohren: Lebensmittelpyramide, Menüplanung, Einkaufszettel, nicht hungrig einkaufen gehen. Also berechnen wir mithilfe der Wanderkarte, wie lange wir ungefähr in der Wildnis bleiben können. Das Maximum sind vier Nächte. Viermal Frühstück, fünfmal Mittagessen, viermal Abendessen. Mehr passt nicht in den Rucksack.
Frühstück ist leicht: Müesli, Milchpulver, Kaffee. Hält leider nicht so lange hin, darum brauchts vormittags noch Dörrfrüchte und Nüsse. Mittagessen nimmt nicht nur quantitativ von Tag zu Tag ab: Um trockenes Weissbrot und schwitzenden Käse am fünften Tag zu essen, muss man schon ziemlich hungrig sein. Täglicher Höhepunkt und unser ganzer Ehrgeiz ist die Abendessen. Am ersten Abend oft noch Teigwaren mit frischen Tomaten – beides so schwer, dass wir es nicht länger als einen Tag schleppen können. Kartoffeln kommen übrigens gar nicht in Frage: ungekocht gleich schwer wie gekocht.
Am zweiten und dritten Tag wird mit Gemüse zurückgefahren – es gibt jetzt nur noch eine Aubergine oder Zucchetti, dazu Linsen, Reis oder Polenta, denn die saugen mehr Wasser auf als Nudeln. Immerhin haben wir immer Öl und Zwiebeln dabei, um die Menüs zu verfeinern. Und oft finden wir unterwegs auch Kräuter, manchmal Pilze, die wir dem Essen beigeben können.

Trotzdem, am vierten Tag wirds meistens trist. Buchstabensuppe. Ausser wir tragen mein Lieblingsleichtgewicht mit: 250 Gramm Risottoreis, eine Zitrone, eine Zwiebel, etwas schwitzenden Käse, Bouillon und Öl. Mehr brauchts nicht für ein leckeres Zitronenrisotto.
Derart gesättigt, sind die Touren gut zu bewältigen. Ja, mein lieber deutscher Rentner, auch das gefürchtete «Pferdchen», ein schmaler Grat hoch oben im Piringebirge, bei dem es auf beiden Seiten steil hinuntergeht. Man sagt, es heisse «Pferdchen», weil es Leute gebe, die sich auf dem Grat wie auf einem Pferderücken sitzend vorwärtsbewegen, aus Angst, herunterzufallen. Ich halte das für eine Legende, die deutsche Rentner Schweizer Wanderern erzählen, um ihnen Angst zu machen.
(Erschienen in der Berner Zeitung vom 06.10.2011)

Kolumne 3: Soldaten, Shacis und Edelweiss

Tatort: Kosovo, irgendwo auf verstaubten Naturstrassen unterwegs in die Berge.

 Erwartungsvoll stiegen wir im kleinen kosovarischen Bergdorf aus dem Bus. Ein paar Männer sassen in der einzigen Bar des Orts herum, und private Taxifahrer boten ihre Dienste an. Wir wollten zu Fuss weitergehen bis zuhinterst im Tal – doch wir hatten nicht mit Adnan gerechnet.
«Taxi, Taxi», deklamierte er. Wir winkten ab, kein Bedarf. «Ihr könnt nicht laufen, das ist viel zu weit», meinte er. Wir lachten und sagten, wir wollten sowieso erst Kaffee trinken und dann weiterschauen. «Gut», meinte er – und setzte sich ungefragt gleich zu uns an den Tisch. 

Der Kaffee kam, und kurz danach folgten zwei türkische KFOR-Soldaten, die uns die Hand schüttelten und uns persönlich in ihrem Sektor willkommen hiessen. Auch Adnan streckte seine Hand hin und textete die Türken unbekümmert auf Deutsch zu. Das habe er in Bazenheid im Kanton St. Gallen gelernt, dort habe er gearbeitet, und seine Schwester lebe immer noch in Vevey. Jetzt schaltete sich der junge Typ am Nebentisch ins Gespräch ein. Er sei während des Kriegs in der Schweiz gewesen, seine Familie sei dort geblieben, der Onkel lebe in Langnau im Emmental. Ob wir das kennen würden? Wir nickten.

Vor der Wanderetappe in Südkosovo war ich kritisch gewesen: Wie sollte ich mich mit den Leuten unterhalten, wo mir doch Albanisch total fremd ist? Die Frage hatte sich dann von selbst beantwortet: auf Deutsch, besser noch auf Schweizerdeutsch. Vor allem im Sommer, wenn die Shacis zurückkehren. Shaci ist die Bezeichnung für Kosovaren, die in deutschsprachigen Ländern leben. Böse Zungen behaupten, die Wortschöpfung sei entstanden, weil sie sich gegenseitig «Schatzi» rufen würden. Shacis fallen auf mit grossen, glänzenden Wagen, trotz der staubigen und trockenen Wege, die durch Kosovo führen. Das liegt vermutlich daran, dass Autowaschanlagen hier häufiger vorkommen als Strassenkreuzungen. 

 Wir unterhielten uns noch immer mit unserer neuen Bekanntschaft über Langnau, als wir plötzlich bemerkten, dass Adnan, der Taxifahrer, fehlte. Ebenso unsere beiden Rucksäcke. Sie lagen im Taxi, der Motor lief schon. Wir ergaben uns unserem Schicksal und stiegen in den orangefarbenen Minibus. Adnan, der Reiseführer, fuhr uns durch die «beste Natur Kosovos», die wir durch die staubige Scheibe bewundern durften. 
Zum Wandern kamen wir schliesslich auch noch. Und so entdeckten wir in den Bergen eine weitere schweizerisch-kosovarische Gemeinsamkeit: blühende Edelweiss, die ich bisher nur aus Prospekten fürs Oberland gekannt hatte.
(Erschienen in der Berner Zeitung vom 03.09.2011)

Thursday, January 5, 2012

Kolumne 2: "Wasser? Wasser gibt es immer!"

Tatort: Montenegro, im kargen und einsamen Küstengebirge. 

Der weit gereiste deutsche Rentner auf Campo Imperatore hatte uns vorgewarnt: «Nehmt einen Strohhalm mit. In Montenegro müsst ihr das Wasser aus Pfützen trinken.» Er hatte nicht recht. Es gibt auch andere Möglichkeiten. Doch dazu später.
Grundsätzlich haben sich die Montenegriner gut eingerichtet. Bergdörfer, die im trockenen Karstgebirge liegen, versorgen sich aus Zisternen mit Wasser. Das heisst, sie haben unterirdische Behälter eingerichtet, wohin der Niederschlag geleitet wird, damit das Wasser auch im trockenen Sommer nicht ausgeht. Heutzutage sind viele dieser Orte nicht mehr bewohnt, oft deuten nur verfallene Häuser und zerstörte Zisternen darauf hin, dass hier einmal gelebt und gearbeitet wurde.

Die Pfade in diesem unwegsamen Gelände sind aber gut erhalten geblieben – das ist auch der Doppelmonarchie Österreich-Ungarn zu verdanken. Vor gut hundert Jahren wurden entlang der montenegrinischen Küste sehr kunstvolle, breite und flache Mulatterias in die Felsen gehauen, die die ganze Region durchziehen: Es ging darum, das Grenzgebiet zum aufständischen montenegrinischen Volk unter Kontrolle zu behalten. Jedenfalls sind die atemberaubenden Wege hoch oben in den Felsen bis heute begehbar, menschenleer, mit Aussicht aufs Meer – und leider auch ziemlich wasserlos.
Richtig glauben konnten wir das erst, als wir kurz vor einem auf der Karte deutlich eingezeichneten Dorf alle Wasservorräte austranken und dann im besagten Ort nur einige österreichisch-ungarische Ruinen antrafen. Es blieb uns nichts anderes übrig, als bei blendender Aussicht und mit trockener Kehle weiterzuziehen.  
Um Stunden später bei einem alten Mann, der der einzige Bewohner eines Dorfs mit einst fünfzehn Familien geblieben ist, um Wasser zu fragen. Mit dem Eimer an der Schnur holte er uns Liter um Liter aus der Zisterne, lachte, als wir uns zehnmal bei ihm bedankten, und meinte: «Wasser? Kein Problem, Wasser gibt es immer.»

Nicht für uns. Schon am nächsten Tag wanderten wir erneut ins Trockene. Die Siedlungen waren ausgestorben, die Zisternen verschmutzt oder ausgetrocknet, der Weg überwachsen. Ich begann erst zu fluchen, dann zu flehen, die Zivilisation war mindestens einige Gebirgszüge entfernt, und sowieso, wer kommt auf die Idee, in Montenegro zu wandern?

Es war schon am Eindunkeln, als wir wieder nur ein Geisterdorf erreichten. Mein Expeditionspartner musste Held spielen und Wasser suchen gehen, das heisst, die Umgebung der überwachsenen Häuser nach einer Zisterne absuchen. Tatsächlich, nach einiger Zeit wurde er fündig. Und hier kommt der Teil, von dem selbst der eingangs erwähnte deutsche Rentner etwas lernen könnte: Wir erinnerten uns an «MacGyver». Das Schweizer Sackmesser, ein alter Schlauch und saugen, saugen, saugen, bis ein kleines Rinnsal braunen Wassers herausgeholt war. Der Expeditionspartner kotzte sich schier die Lunge aus, ich feuerte ihn dabei an. Es reichte knapp für ein Süppchen und eine Tasse Tee. 

Übrigens: Am nächsten Morgen fanden wir einige Hundert Meter weiter eine intakte Wasserstelle samt Eimer. Seither sind wir etwas geduldiger geworden, denn wir wissen: Wasser gibt es immer. Irgendwo. 

(Erschienen in der Berner Zeitung vom 13.8.2011)

Kolumne 1: Gipfelstürmer mit und ohne Erfolg


Tatort: Italien, Campo Imperatore, 2135 Meter über Meer, Ausgangspunkt für Bergtouren auf den Corno Grande, Juwel des Gran-Sasso-Gebirges und höchster Gipfel der Abruzzen.

 Wir waren schon Stunden über einsame Bergpfade gewandert, der Weg drehte allmählich auf die andere Seite des Hangs, und plötzlich erblickten wir ein Ungeheuer von einem Gebäude. Rostrot, mit bizarren, vor langer Zeit wohl einmal modernen geometrischen Formen. Ein riesiger Parkplatz, halb leer, unmotiviert dastehende Menschen. Ein Ausflugsziel für Töffrennfahrer. Doch das Haus war nicht nur rostrot, sondern auch sonst etwas rostend: alles zu, das ganze Gebäude inklusive Seilbahn und Skiliften stillgelegt. Nur ein kleiner Hund schien fester Bewohner des Areals zu sein – er begrüsste uns gleich freudig wedelnd.

Dabei beherbergte der Hotelkomplex einst grosse Persönlichkeiten der Geschichte: Hier hielt man Mussolini während des Zweiten Weltkriegs für zwei Wochen gefangen, steht auf einer Tafel am geschlossenen Eingang des Kolosses. Drinnen könnte man seine Suite besichtigen, schauen, wo er mit den Carabinieri Karten gespielt hat, aber eben: An die Hauswände pissen jetzt kleine Hunde und Ausflügler in Not. Und noch ein wichtiger Mann beehrte den Campo Imperatore: Kein Geringerer als Papst Johannes Paul II. hat die kleine Kapelle nebenan eingeweiht – die etwas unscharf geratenen Fotos an der Wand beweisen es. Von Rom ists halt nur eine kurze Reise hierher.
Jetzt treten wir in die Fussstapfen dieser Grossen – und einige andere Campierer, die in ihren Wohnmobilen schlafen, um am nächsten Tag den Corno Grande möglichst früh bezwingen zu können. Eine eben zurückgekehrte italienische Alpinistengruppe füttert den kleinen Hund mit trockenem Brot und prostet sich selbst mit Bier zu, während sich eine weitere Truppe bereitmacht: Sie wollen nun, es ist 18 Uhr, den Corno Grande auf der ausgesetzten Route besteigen und dann irgendwo auf den Felsen biwakieren. Der alte Mann mit der grossen Wollmütze und dem alten Steppschlafsack sieht dafür nicht eben gut gerüstet aus. Wir lächeln ein bisschen und hoffen, dass das bloss gut geht. Derweil kommentiert der deutsche Rentner nebenan lauthals seine Kameraaufnahmen und streitet zwischendurch mit seiner Frau. 


Am nächsten Tag wird sich unser Übermut etwas gelegt haben: In der Nacht hat ein dreister Fuchs unseren gut verpackten Käse aus dem Vorzelt geklaut, der Wind hat uns fast das Zelt weggeblasen, und bei der Bezwingung des Gipfels kehren wir wegen des Wetters kurz vor dem Ziel um. Auf dem Rückweg treffen wir schliesslich die müden italienischen Nachtwanderer an – munter zwischen ihnen hergehend: der kleine Hund. Und auch das deutsche Rentnerpaar hat es anscheinend geschafft – strahlend und vereint steht es auf dem Parkplatz. Sind die wirklich alle dort hochgeklettert?  

(Erschienen in der Berner Zeitung, 13.7.2011)


Nach 199 Tagen auf der Reise...

...eröffnen wir diesen Blog. Seit 20. Juni 2011 sind wir zu Fuss unterwegs. Gestartet sind wir in Bern, mittlerweile sind wir in Athen angekommen. Viel haben wir erlebt, viel haben wir geschrieben. Laufend werden wir nun Ausschnitte daraus hier veröffentlichen. Damit im besten Fall auch jemand nach uns Teile dieser Wanderung unternehmen kann. Viel Spass!