Tatort: Italien, Campo Imperatore, 2135 Meter über Meer,
Ausgangspunkt für Bergtouren auf den Corno Grande, Juwel des
Gran-Sasso-Gebirges und höchster Gipfel der Abruzzen.
Wir waren schon Stunden über einsame Bergpfade
gewandert, der Weg drehte allmählich auf die andere Seite des Hangs, und
plötzlich erblickten wir ein Ungeheuer von einem Gebäude. Rostrot, mit
bizarren, vor langer Zeit wohl einmal modernen geometrischen Formen. Ein
riesiger Parkplatz, halb leer, unmotiviert dastehende Menschen. Ein
Ausflugsziel für Töffrennfahrer. Doch das Haus war nicht nur rostrot,
sondern auch sonst etwas rostend: alles zu, das ganze Gebäude inklusive
Seilbahn und Skiliften stillgelegt. Nur ein kleiner Hund schien fester
Bewohner des Areals zu sein – er begrüsste uns gleich freudig wedelnd.
Dabei beherbergte der Hotelkomplex einst grosse
Persönlichkeiten der Geschichte: Hier hielt man Mussolini während des
Zweiten Weltkriegs für zwei Wochen gefangen, steht auf einer Tafel am
geschlossenen Eingang des Kolosses. Drinnen könnte man seine Suite
besichtigen, schauen, wo er mit den Carabinieri Karten gespielt hat,
aber eben: An die Hauswände pissen jetzt kleine Hunde und Ausflügler in
Not. Und noch ein wichtiger Mann beehrte den Campo Imperatore: Kein
Geringerer als Papst Johannes Paul II. hat die kleine Kapelle nebenan
eingeweiht – die etwas unscharf geratenen Fotos an der Wand beweisen es.
Von Rom ists halt nur eine kurze Reise hierher.
Jetzt treten wir in die Fussstapfen dieser Grossen
– und einige andere Campierer, die in ihren Wohnmobilen schlafen, um am
nächsten Tag den Corno Grande möglichst früh bezwingen zu können. Eine
eben zurückgekehrte italienische Alpinistengruppe füttert den kleinen
Hund mit trockenem Brot und prostet sich selbst mit Bier zu, während
sich eine weitere Truppe bereitmacht: Sie wollen nun, es ist 18 Uhr, den
Corno Grande auf der ausgesetzten Route besteigen und dann irgendwo auf
den Felsen biwakieren. Der alte Mann mit der grossen Wollmütze und dem
alten Steppschlafsack sieht dafür nicht eben gut gerüstet aus. Wir
lächeln ein bisschen und hoffen, dass das bloss gut geht. Derweil
kommentiert der deutsche Rentner nebenan lauthals seine Kameraaufnahmen
und streitet zwischendurch mit seiner Frau.
Am nächsten Tag wird sich unser Übermut etwas
gelegt haben: In der Nacht hat ein dreister Fuchs unseren gut verpackten
Käse aus dem Vorzelt geklaut, der Wind hat uns fast das Zelt
weggeblasen, und bei der Bezwingung des Gipfels kehren wir wegen des
Wetters kurz vor dem Ziel um. Auf dem Rückweg treffen wir schliesslich
die müden italienischen Nachtwanderer an – munter zwischen ihnen
hergehend: der kleine Hund. Und auch das deutsche Rentnerpaar hat es
anscheinend geschafft – strahlend und vereint steht es auf dem
Parkplatz. Sind die wirklich alle dort hochgeklettert?
(Erschienen in der Berner Zeitung, 13.7.2011)
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