Thursday, January 5, 2012

Kolumne 1: Gipfelstürmer mit und ohne Erfolg


Tatort: Italien, Campo Imperatore, 2135 Meter über Meer, Ausgangspunkt für Bergtouren auf den Corno Grande, Juwel des Gran-Sasso-Gebirges und höchster Gipfel der Abruzzen.

 Wir waren schon Stunden über einsame Bergpfade gewandert, der Weg drehte allmählich auf die andere Seite des Hangs, und plötzlich erblickten wir ein Ungeheuer von einem Gebäude. Rostrot, mit bizarren, vor langer Zeit wohl einmal modernen geometrischen Formen. Ein riesiger Parkplatz, halb leer, unmotiviert dastehende Menschen. Ein Ausflugsziel für Töffrennfahrer. Doch das Haus war nicht nur rostrot, sondern auch sonst etwas rostend: alles zu, das ganze Gebäude inklusive Seilbahn und Skiliften stillgelegt. Nur ein kleiner Hund schien fester Bewohner des Areals zu sein – er begrüsste uns gleich freudig wedelnd.

Dabei beherbergte der Hotelkomplex einst grosse Persönlichkeiten der Geschichte: Hier hielt man Mussolini während des Zweiten Weltkriegs für zwei Wochen gefangen, steht auf einer Tafel am geschlossenen Eingang des Kolosses. Drinnen könnte man seine Suite besichtigen, schauen, wo er mit den Carabinieri Karten gespielt hat, aber eben: An die Hauswände pissen jetzt kleine Hunde und Ausflügler in Not. Und noch ein wichtiger Mann beehrte den Campo Imperatore: Kein Geringerer als Papst Johannes Paul II. hat die kleine Kapelle nebenan eingeweiht – die etwas unscharf geratenen Fotos an der Wand beweisen es. Von Rom ists halt nur eine kurze Reise hierher.
Jetzt treten wir in die Fussstapfen dieser Grossen – und einige andere Campierer, die in ihren Wohnmobilen schlafen, um am nächsten Tag den Corno Grande möglichst früh bezwingen zu können. Eine eben zurückgekehrte italienische Alpinistengruppe füttert den kleinen Hund mit trockenem Brot und prostet sich selbst mit Bier zu, während sich eine weitere Truppe bereitmacht: Sie wollen nun, es ist 18 Uhr, den Corno Grande auf der ausgesetzten Route besteigen und dann irgendwo auf den Felsen biwakieren. Der alte Mann mit der grossen Wollmütze und dem alten Steppschlafsack sieht dafür nicht eben gut gerüstet aus. Wir lächeln ein bisschen und hoffen, dass das bloss gut geht. Derweil kommentiert der deutsche Rentner nebenan lauthals seine Kameraaufnahmen und streitet zwischendurch mit seiner Frau. 


Am nächsten Tag wird sich unser Übermut etwas gelegt haben: In der Nacht hat ein dreister Fuchs unseren gut verpackten Käse aus dem Vorzelt geklaut, der Wind hat uns fast das Zelt weggeblasen, und bei der Bezwingung des Gipfels kehren wir wegen des Wetters kurz vor dem Ziel um. Auf dem Rückweg treffen wir schliesslich die müden italienischen Nachtwanderer an – munter zwischen ihnen hergehend: der kleine Hund. Und auch das deutsche Rentnerpaar hat es anscheinend geschafft – strahlend und vereint steht es auf dem Parkplatz. Sind die wirklich alle dort hochgeklettert?  

(Erschienen in der Berner Zeitung, 13.7.2011)


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