Der weit gereiste deutsche Rentner auf Campo Imperatore hatte uns
vorgewarnt: «Nehmt einen Strohhalm mit. In Montenegro müsst ihr das
Wasser aus Pfützen trinken.» Er hatte nicht recht. Es gibt auch andere
Möglichkeiten. Doch dazu später.
Grundsätzlich haben sich die Montenegriner gut
eingerichtet. Bergdörfer, die im trockenen Karstgebirge liegen,
versorgen sich aus Zisternen mit Wasser. Das heisst, sie haben
unterirdische Behälter eingerichtet, wohin der Niederschlag geleitet
wird, damit das Wasser auch im trockenen Sommer nicht ausgeht.
Heutzutage sind viele dieser Orte nicht mehr bewohnt, oft deuten nur
verfallene Häuser und zerstörte Zisternen darauf hin, dass hier einmal
gelebt und gearbeitet wurde.
Die Pfade in diesem unwegsamen Gelände sind aber
gut erhalten geblieben – das ist auch der Doppelmonarchie
Österreich-Ungarn zu verdanken. Vor gut hundert Jahren wurden entlang
der montenegrinischen Küste sehr kunstvolle, breite und flache
Mulatterias in die Felsen gehauen, die die ganze Region durchziehen: Es
ging darum, das Grenzgebiet zum aufständischen montenegrinischen Volk
unter Kontrolle zu behalten. Jedenfalls sind die atemberaubenden Wege
hoch oben in den Felsen bis heute begehbar, menschenleer, mit Aussicht
aufs Meer – und leider auch ziemlich wasserlos.
Richtig glauben konnten wir das erst, als wir kurz
vor einem auf der Karte deutlich eingezeichneten Dorf alle
Wasservorräte austranken und dann im besagten Ort nur einige
österreichisch-ungarische Ruinen antrafen. Es blieb uns nichts anderes
übrig, als bei blendender Aussicht und mit trockener Kehle
weiterzuziehen.
Um Stunden später bei einem alten Mann, der der einzige
Bewohner eines Dorfs mit einst fünfzehn Familien geblieben ist, um
Wasser zu fragen. Mit dem Eimer an der Schnur holte er uns Liter um
Liter aus der Zisterne, lachte, als wir uns zehnmal bei ihm bedankten,
und meinte: «Wasser? Kein Problem, Wasser gibt es immer.»
Nicht für uns. Schon am nächsten Tag wanderten wir
erneut ins Trockene. Die Siedlungen waren ausgestorben, die Zisternen
verschmutzt oder ausgetrocknet, der Weg überwachsen. Ich begann erst zu
fluchen, dann zu flehen, die Zivilisation war mindestens einige
Gebirgszüge entfernt, und sowieso, wer kommt auf die Idee, in Montenegro
zu wandern?
Es war schon am Eindunkeln, als wir wieder nur ein
Geisterdorf erreichten. Mein Expeditionspartner musste Held spielen und
Wasser suchen gehen, das heisst, die Umgebung der überwachsenen Häuser
nach einer Zisterne absuchen. Tatsächlich, nach einiger Zeit wurde er
fündig. Und hier kommt der Teil, von dem selbst der eingangs erwähnte
deutsche Rentner etwas lernen könnte: Wir erinnerten uns an «MacGyver».
Das Schweizer Sackmesser, ein alter Schlauch und saugen, saugen, saugen,
bis ein kleines Rinnsal braunen Wassers herausgeholt war. Der
Expeditionspartner kotzte sich schier die Lunge aus, ich feuerte ihn
dabei an. Es reichte knapp für ein Süppchen und eine Tasse Tee.
Übrigens: Am nächsten Morgen fanden wir einige
Hundert Meter weiter eine intakte Wasserstelle samt Eimer. Seither sind
wir etwas geduldiger geworden, denn wir wissen: Wasser gibt es immer.
Irgendwo.
(Erschienen in der Berner Zeitung vom 13.8.2011)
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