Thursday, January 5, 2012

Kolumne 2: "Wasser? Wasser gibt es immer!"

Tatort: Montenegro, im kargen und einsamen Küstengebirge. 

Der weit gereiste deutsche Rentner auf Campo Imperatore hatte uns vorgewarnt: «Nehmt einen Strohhalm mit. In Montenegro müsst ihr das Wasser aus Pfützen trinken.» Er hatte nicht recht. Es gibt auch andere Möglichkeiten. Doch dazu später.
Grundsätzlich haben sich die Montenegriner gut eingerichtet. Bergdörfer, die im trockenen Karstgebirge liegen, versorgen sich aus Zisternen mit Wasser. Das heisst, sie haben unterirdische Behälter eingerichtet, wohin der Niederschlag geleitet wird, damit das Wasser auch im trockenen Sommer nicht ausgeht. Heutzutage sind viele dieser Orte nicht mehr bewohnt, oft deuten nur verfallene Häuser und zerstörte Zisternen darauf hin, dass hier einmal gelebt und gearbeitet wurde.

Die Pfade in diesem unwegsamen Gelände sind aber gut erhalten geblieben – das ist auch der Doppelmonarchie Österreich-Ungarn zu verdanken. Vor gut hundert Jahren wurden entlang der montenegrinischen Küste sehr kunstvolle, breite und flache Mulatterias in die Felsen gehauen, die die ganze Region durchziehen: Es ging darum, das Grenzgebiet zum aufständischen montenegrinischen Volk unter Kontrolle zu behalten. Jedenfalls sind die atemberaubenden Wege hoch oben in den Felsen bis heute begehbar, menschenleer, mit Aussicht aufs Meer – und leider auch ziemlich wasserlos.
Richtig glauben konnten wir das erst, als wir kurz vor einem auf der Karte deutlich eingezeichneten Dorf alle Wasservorräte austranken und dann im besagten Ort nur einige österreichisch-ungarische Ruinen antrafen. Es blieb uns nichts anderes übrig, als bei blendender Aussicht und mit trockener Kehle weiterzuziehen.  
Um Stunden später bei einem alten Mann, der der einzige Bewohner eines Dorfs mit einst fünfzehn Familien geblieben ist, um Wasser zu fragen. Mit dem Eimer an der Schnur holte er uns Liter um Liter aus der Zisterne, lachte, als wir uns zehnmal bei ihm bedankten, und meinte: «Wasser? Kein Problem, Wasser gibt es immer.»

Nicht für uns. Schon am nächsten Tag wanderten wir erneut ins Trockene. Die Siedlungen waren ausgestorben, die Zisternen verschmutzt oder ausgetrocknet, der Weg überwachsen. Ich begann erst zu fluchen, dann zu flehen, die Zivilisation war mindestens einige Gebirgszüge entfernt, und sowieso, wer kommt auf die Idee, in Montenegro zu wandern?

Es war schon am Eindunkeln, als wir wieder nur ein Geisterdorf erreichten. Mein Expeditionspartner musste Held spielen und Wasser suchen gehen, das heisst, die Umgebung der überwachsenen Häuser nach einer Zisterne absuchen. Tatsächlich, nach einiger Zeit wurde er fündig. Und hier kommt der Teil, von dem selbst der eingangs erwähnte deutsche Rentner etwas lernen könnte: Wir erinnerten uns an «MacGyver». Das Schweizer Sackmesser, ein alter Schlauch und saugen, saugen, saugen, bis ein kleines Rinnsal braunen Wassers herausgeholt war. Der Expeditionspartner kotzte sich schier die Lunge aus, ich feuerte ihn dabei an. Es reichte knapp für ein Süppchen und eine Tasse Tee. 

Übrigens: Am nächsten Morgen fanden wir einige Hundert Meter weiter eine intakte Wasserstelle samt Eimer. Seither sind wir etwas geduldiger geworden, denn wir wissen: Wasser gibt es immer. Irgendwo. 

(Erschienen in der Berner Zeitung vom 13.8.2011)

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