Thursday, April 26, 2012

Kolumne 10: Ganz ordentliche «Missgeburt»


Tatort: Auf Forststrassen im hügeligen Inland von Zypern.

Es ist manchmal nicht ganz einfach, Wanderrouten zusammenzustellen. Zwar gibt es in den meisten Ländern Weitwanderwege, zu vielen existiert jedoch wenig bis gar keine Information. Im Internet lässt sich aber zum Glück häufig eine Art Vorbild finden – jemand, der diesen Weg schon gegangen ist und davon berichtet hat. Dieser Vorgänger mausert sich im Verlauf der besagten Tour nicht selten zu einer Referenzperson, von der wir sprechen, als ob wir sie persönlich kennen würden.

So auch für den Weg quer durch Südzypern, der erst vor kurzem eröffnet wurde und selten begangen wird. Eine österreichische Tierärztin war ein Jahr vor uns hier und hat der Route auf ihrem Blog das Prädikat «Missgeburt» verliehen.

Wenigstens sind wir vorgewarnt worden, dachten wir uns, als wir die ersten Kilometer auf einer Asphaltstrasse nach Wegsignalisierungen Ausschau hielten. Die Mandelbäume blühten, und auch die Blumen standen in voller Blüte, der Mohn, Alpenveilchen und Lilien. Die Sonne schien, es war frühsommerlich warm. Und nach einiger Suche fanden wir auch den markierten Weg, den wir von da an für zwei Wochen fast nie mehr verloren. Die Tierärztin, die über die schlechte Signalisierung geklagt hatte, verlor bereits ein paar von ihren Vorschusslorbeeren. 

Das Inland von Zypern ist im Gegensatz zur Küste sehr untouristisch, oftmals führen Forststrassen stundenlang durch menschenleeres Gebiet. Es gibt Echsen und Geckos, die ihre Köpfe eigenartig schubweise bewegen und sich ansonsten starr an der Sonne aufwärmen. Es gibt das Mufflon, das zypriotische Wappentier, das ähnlich wie ein Reh aussieht, aber rund gewölbte Hörner hat und sich tatsächlich ab und zu blicken lässt. Und es gibt immer wieder Picknickplätze, perfekt geeignet für uns, um zu übernachten. Denn es hat dort Wasser, es hat Bänke und Tische, und wir können unser Zelt aufstellen, ohne zu fürchten, dass wir jemanden stören. Es ist ja gar niemand da. 

Die Tierärztin hat verschiedene Picknickplätze erwähnt – und auch geschildert, wo es Wasser gibt. In solchen Momenten loben wir sie wieder in den höchsten Tönen. Denn die Wasserversorgung ist beim Weitwandern essenziell. Ohne Wasser kann abends nicht gekocht werden, die Zähne lassen sich nicht putzen, und morgens gibt es keinen Kaffee.


Nur – irgendwie hat unser Vorbild eine schlechtere Tour gehabt als wir. Vielleicht, weil sie im Februar unterwegs war und ständig Regen hatte? Oder vielleicht auch, weil sie sich mehrmals verirrte, während wir zum Glück nie wirklich falsch gingen. Und so konnten wir bei allem guten Willen auch die Schadenfreude nicht ganz unterdrücken, als wir selbstsicher eine rostige Kinderrutsche passierten, an der die arme Tierärztin bei Dauerregen angeblich gleich mehrmals vorbeigekommen war.
(Erscchienen in der Berner Zeitung vom 25. April 2012)

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